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Ausstellungsarchiv
"Auf freundlichen Zuspruch lächelt das Kind."
Die medizinischen Verbrechen in der Städtischen Nervenklinik für Kinder 1941-1945
31.05.2013 bis 31.01.2014
Hans-Peter W. wurde am 17. April 1941 geboren. Mit dem Verdacht auf "Little'sche Erkrankung mit Idiotie" kam er am 9.3.1942 in die Städtische Nervenklinik für Kinder. Dr. Gertrud Reuter diagnostizierte: „Auf freundlichen Zuspruch lächelt das Kind. Vorgehaltene Gegenstände werden nicht ergriffen; berührt man aber seine Händchen, so umklammert er sie fest und lässt nicht los.“
Hans-Peter W. lag auf der „Kinderfachabteilung“, in die behinderte Kinder aus der Hauptstadt und dem Umland eingewiesen wurden. Am 29.4.1942 wurde bei ihm eine riskante Untersuchung durchgeführt, die zu Kreislaufschwäche und Atemaussetzern führte. Zwei Wochen später starb das einjährige Kind. Als Todesursache wurde Bronchitis, Lungenentzündung und Herzmuskeldegeneration in der Krankenakte vermerkt.
Hans-Peter W. war kein Einzelfall. Viele Kinder kamen in den "Wiesengrund", wie der Gebäudekomplex auf dem Grundstück Eichborndamm 238-240 auch genannt wurde. Die Gebäude beherbergten ab 1941 die psychiatrischen Abteilungen II und III der Städtischen Nervenklinik für Kinder: Die Abteilung III erhielt 1942 den täuschenden Zusatznamen "Kinderfachabteilung". Das klang wissenschaftlich, schaffte Vertrauen bei Eltern und Angehörigen, sodass sie ihr Kind in den Händen von geschultem Fachpersonal wähnten. In Wahrheit kamen die Kinder hier vorsätzlich oder billigend zu Tode.
Die etwa 30 Betten der "Kinderfachabteilung" waren hauptsächlich für "Reichsausschuss-Kinder" gedacht. In ihren Krankenakten findet sich der Zusatz "R.A.", der einem Todesurteil gleichkam. Hier sahen die Mediziner, die dem Gutachtergremium "Reichsauschuss zur wissenschaftlich Erfassung von erb- und anlagebedingten Leiden" angehörten, das Leben der Kinder als "unwert" an.
Auch bei den kleinen Patienten der Abteilung II gab es sehr viele Todesfälle. In beiden psychiatrischen Abteilungen benutzten die Ärzte die Kinder zu medizinischen Forschung, führten an ihnen riskante und im übrigen überflüssige Untersuchungen durch, verabreichten ihnen falsch dosierte Medikamente und verwehrten ihnen teilweise die notwendige medizinische Hilfe. Möglicherweise starben sie auch, weil sie zu wenig Essen bekamen wie im Fall von Werner B., von dem es in den Akten heißt, dass der Junge vor Hunger zitternd in ein Stück Seife biss.
Eines der zentralen Exponate in der Ausstellung ist die oben abgebildete Zeichnung von Bruno Schleinstein aus dem Jahr 1976. Schleinstein war als Kind, Anfang der 1940er Jahre, Patient in der Nervenklinik für Kinder und überlebte die gefährlichen Untersuchungen. Später arbeitete er als bildender Künstler, Musiker und Schauspieler.
Der Kataog zur Ausstellung ist für 5,- € im Heimatmuseum erhältlich.
Darüber hinaus ermöglicht ein „Geschichtslabor“ am authentischen Ort, Am Eichborndamm 238, Schülerinnen und Schülern eine aktive Auseinandersetzung mit der NS-Medizin.