Heimatmuseum Reinickendorf

 

Ausstellungsarchiv

Berliner Kindheit um neunzehnhundert. Bilder von Susanne Runge zu Texten von Walter Benjamin

Ausstellung in der Humboldt-Bibliothek

03.03.2023 bis 15.04.2023

Susanne Runge, Tiergarten II. Aus dem Zyklus Kindheit um 1900 von Walter Benjamin

Erstmals wird der Zyklus Berliner Kindheit um neunzehnhundert (2020) der Künstlerin Susanne Runge vollständig in einer Ausstellung gezeigt. Ihre Arbeiten entstanden im intensiven Dialog mit dem gleichnamigen Werk des Publizisten, Literaturkritikers und Philosophen Walter Benjamin (1892-1940). Er schrieb seine Prosastücke in den 1930er Jahren, rückblickend auf seine Kinderjahre. Die Erstausgabe erschien erst zehn Jahre nach seinem Tod. Bis heute, in weiteren Fassungen vielfach rezipiert, zählen sie zu den ergreifendsten und schönsten Texten der Moderne.

Als „eine Expedition in die Tiefen der Erinnerung“ beschäftigen sich die Texte mit imaginären Landschaften und dem Lebensraum des Kindes: Orte und Dinge, wie die Wohnung, Straßen, Bahnhöfe, die Schule, aber auch die Sprache sind Gegenstand von Wahrnehmung, Beobachtung und Reflexion einer gutbürgerlichen Kindheit um 1900. Die Miniaturen stellen komplexe Erinnerungsbilder dar. Sie zeugen von der Sehnsucht des Autors, „jene Bilder, die im Exil das Heimweh am stärksten zu wecken pflegen – die der Kindheit – mit Absicht, hervorzurufen“.

In ihren Kompositionen greift Susanne Runge einzelne, meist ortsbezogene Texte aus Benjamins Werk auf und entwickelt bildkünstlerisch vielschichtige Erinnerungsräume. Geleitet von eigener Erfahrung stellt sie zu ausgewählten Textpassagen assoziativ Bezüge her. Eindrücke der Wahlberlinerin bei Stadterkundungen oder Ausflügen in den Tiergarten oder zur Pfaueninsel wie auch persönliche Kindheitserinnerungen an Karussellfahrten oder Zoobesuche fließen in ihre Bildwerke ein. Weitere Betrachtungen schwingen mit. So klingt in „Abreise und Rückkehr I“ auch das traurige Kapitel des „Anhalters“, jenes einst wichtigen Fernbahnhofs, als Ausgangsort von Flucht und Deportationen, an. Benjamins Schicksal selbst wird hier gegenwärtig.


Die verschiedenen Stränge verweben und überlagern sich: In abstrakten Kompositionen scheinen figürliche Bildelemente, wie Gebäude, Menschen, Vögel oder Lokomotiven auf, teils begleitet von Wörtern und Wortfragmenten aus zitierten Texten. Auf den Bildern überwiegen Gebilde aus zartfarbigen Linien und Flächen in Acryl und Kreiden. Ein lichtes Blau wechselt mit roten, gelben und grünen Formen und dem Braun und Schwarz unterschiedlicher Tinten. In dynamischem Duktus entwickelt Runge mittels fein entfalteter Technik eine individuelle Bildsprache: Dabei greift sie in Trocknungsprozesse ein und erreicht in Schichtungen und durch den Einsatz unterschiedlicher Malmittel ein Aufscheinen, Zerbröckeln oder Zurücktreten von Farbflächen und -linien auf dem weißen Bilduntergrund. Im künstlerischen Entstehungsprozess wird das Blatt mehrfach gedreht, nachvollziehbar etwa durch hinzutretende Schriftzüge und Randnotizen in Tinte oder Bleistift.


Susanne Runge lädt die Betrachtenden dazu ein, in Gedächtnisräume kindlicher Erinnerung einzutreten und jene Stimmungen zu vergegenwärtigen, die auf Wahrnehmungen und Erlebnisse in einer vergangenen Zeit zurückgehen. Durch ihre künstlerische Zwiesprache mit Benjamins Texten ermuntert sie dazu, selbst mit eigenen Erinnerungen und Assoziationen teilzuhaben – verschiedentlich können so Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen.


Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt des Museums Reinickendorf mit der Humboldt-Bibliothek.

Zur Vernissage am Donnerstag, 2.3.2023 um 19 Uhr laden wir recht herzlich ein.

Ort: Humboldt- Bibliothek, Karolinenstraße 19, 13507 Berlin

Über das Begleitprogramm zur Ausstellung finden Sie mehr unter der Rubrik Veranstaltungen.


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